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Jüngling, und seine vorige, blühende Gestalt wurde ihm bitter vor>
gegaukelt.
Er konnte es nicht mehr sehen, er verhüllte das Auge, tausend
heiße Tränen strömten versiegend in den Schnee, er seufzte nur
noch leise, trostlos und sinnlos: „Komm nur wieder, Jugend, komm
wieder!"
Und sie kam wieder; denn er hatte nur in der Neujahrsnacht
so fürchterlich geträumt — er war noch ein Jüngling. Nur seine
Verirrungen waren nicht bloß ein Traum gewesen. Aber er dankte
Gott, daß er noch jung war und von den schmutzigen Gängen des
tasters umkehren und sich auf die Sonnenbahn zurückbegeben konnte,
die ins reine Land der ewigen Ernten führt.
Aehre mit ihm um, junger Leser, wenn du auf seinen Irrwegen
stehst. Dieser schreckende Traum wird künftig dein Richter werden!
Aber wenn du einst jammervoll rufen würdest: „Komm wieder,
schöne Jugendzeit!" — sie würde nicht wiederkommen.
Jean Paul Friedrich Richter.
13. Die deutsche Turnkunst.
Wie so viele Dinge in der Welt so hat auch die deutsche Turnkunst
einen kleinen, unmerklichen Anfang gehabt. Ich wanderte gegen das Ende
des Jahres 1809 nach Berlin, um den Einzug des Königs zu sehen.
Bei dieser Feier ging mir ein Hoffnungsstern auf, und nach langen Jrr-
jahren und Irrfahrten wurde ich hier heimisch. Liebe zum Vaterlands
und eigne Neigung machten mich wieder zum Jugendlehrer, was ich schon
so oft gewesen war. Zugleich ließ ich mein „Deutsches Volkstum" drucken.
In schöner Frühlingszeit des Jahres 1810 gingen an den schul-
freien Nachmittagen der Mittwoche und Sonnabende erst einige Schüler
mit mir in Feld und Wald, bald folgten immer mehr und mehr. Die
Zahl wuchs, und es wurden Jugendspiele und einfache Übungen vor-
genommen. So ging es fort bis zu den Hundstagen, wo eine Unzahl
von Knaben zusammenkam, die sich aber bald nachher verlief. Doch
sonderte sich ein Kern aus, der auch im Winter als Stamm zusammen-
hielt, und mit dem dann im Frühjahr 1811 der erste Turnplatz in der
Hasenheide (bei Berlin) eröffnet wurde.
Jetzt wurden im Freien öffentlich und vor jedermanns Augen von
Knaben und Jünglingen mancherlei Leibesübungen unter dem Namen
Turnkunst in Gesellschaft getrieben. Damals kamen die Benennungen
Turnkunst, turnen, Turner, Turnplatz und ähnliche miteinander zu-
gleich auf.
Das gab nun bald ein gewaltig Gelaufe, Geschwätz und Geschreibe.
Selbst durch französische Tageblätter mußte die Sache Gaffen laufen.
Aber auch hierzulande hieß es anfangs: „Eine neue Narrheit, die
alte Deutschheit wieder ausbringen zu wollen." Dabei blieb es nicht.
Vorurteile wie Sand am Meer wurden von Zeit zu Zeit ruchbar. Sie
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Extrahierte Personennamen: Gott Jean_Paul_Friedrich_Richter Friedrich
43
Lebtage nicht mehr tun; solch einer Nacht wollten sie gedenken.
Da ließ er sie los des Morgens um vier Uhr. Den Tag über
hatten sie welke Köpfe und sahen aus wie Rahmsuppen, und am
Abend krochen sie in ihr Bett und nahmen keine Karten mit. Es
hat auch durchgelangt bei ihnen, und sie haben als Männer später
es dem Pfarrer gestanden, daß die Kur gründlich gewesen sei.
E. Frommei.
26. Die Heimkehr von der Wanderschaft.
Meister Zeiland war der beste Grobschmied im ganzen Lande
und der emsigste. Ehe der Tag anbrach, öffnete er seine Werk-
stätte mit einem Morgenliede, und dann loderte das Feuer in
seiner Esse, und die Blasebälge arbeiteten, und auf drei Ambossen
seufzte ohne Unterlaß das sprühende Eisen unter den schweren
Hämmern. Den ganzen Tag war er unermüdet bei der Aufsicht
und Arbeit; aber wenn um sechs Uhr das Feuer ausgelöscht
und die Werkstätte geschlossen war, dann lebte er sich selbst
und dem Andenken seiner frohen Tage, und dann war wohl
niemand zufriedener und ehrwürdiger als Meister Zeiland, der
Grobschmied,
Bei heitern Abenden zur Sommer- und Herbstzeit saß er
dann oft an seiner Tür auf dem Hofe unter den hohen Nuß-
bäumen, die sein Großvater, auch ein Grobschmied wie er, ge-
pflanzt hatte, als er nach einem großen Brande das Haus wieder
aufbaute. Dann setzten sich meistenteils einige der ältesten
Nachbarn um ihn her auf die hölzernen Bänke, und auch die
Jüngern Männer versammelten sich um ihn und hörten ihn gern,
wenn er von alten Zeiten sprach und den Drangsalen des
Krieges und von fremden Städten, in denen er gewesen war,
und von seiner Jugend und seinen glücklichen Tagen. Nament-
lich erwähnte er oft des Tages seiner Rückkehr von der
Wanderschaft.
»Mein Vater,“ erzählte er einmal, „war ein tätiger und
ernster Mann, der mir nicht erlaubte, viel umherzugaffen, sondern
mich von klein auf scharf zur Arbeit anhielt. Was ein fester
Baum werden soll, pflegte er zu sagen, das muß im Winde
wachsen, und ein Handwerksmann darf nicht erzogen werden
wie ein Edelmann. Ich ehrte ihn sehr und war folgsam gegen
seine Befehle, weil es Gottes Gebot ist, doch nicht immer mit
frohem und vollem Herzen, aber meine Mutter liebte ich über
alles und tat alles mit Freuden, was sie mich hieß. Beide
waren schon hoch in Jahren, als ich so weit herangewachsen
war, daß ich mich auf die Wanderschaft begeben mußte; denn
ich war von zehn Kindern das jüngste und nebst einer Schwester
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62
Gefängnis dünkte ihm die schwerste Strafe. Dann aber zog es ihn
auch zu seinem alten Mütterchen, das er so bitter gekränkt hatte, und
dessen Vergebung ihm vor allen Dingen am Herzen lag.
Der erste, welcher dem Friedrich Breitkopf entgegentrat, als
er in das heimatliche Dorf schritt, war der greise Dorfdiener
Biedermann. Tief beschämt schlug Friedrich seine Augen nieder,
als er dem alten Manne gegenüberstand, und kein Wort der Be-
grüßung wollte von seinen Lippen herab. Da fühlte er plötzlich seine
Hand von der des Greises ergriffen, und er hörte ihn die milden
Worte sagen: „Bist wedder da, Friedrich? Hast Malheur 'hat, armer
Junge; hebben dick alle beduert in 'n Dorpe; na, lallt man gut sin,
dat vergäll sik, bist nicht schlecht west, bloß en bettchen wild, bat
kann jeden passieren, mien Sahn. Gah man na diene Mutter, dee
luert «ll up."
O, wie taten dem guten Jungen diese schlichten Worte wohl!
„Bist nicht schlecht west!" — War er wirklich nicht schlecht, sondern
nur wild gewesen? — Nein, nein, nein, er hatte sein ehrlich Hand-
werk aufgegeben, das war schlecht genug gewesen; schon darum
hatte er seine Strafe verdient. Und doch — es tat ihm so unend-
lich wohl, daß gerade der greise Dorfdiener sein Vergehen so mild
beurteilte.
An dem Häuschen seines Mütterchens angelangt, stand Friedrich
einen Augenblick still und blickte durch die Fensterscheiben hindurch
in das Wohnstübchen hinein. O Gott, da saß die gebeugte Gestalt
der alten Frau in ihrem gewohnten Lehnstuhl und hatte vor sich auf-
geschlagen ihr altes Gebetbuch mit den großen Buchstaben, die dem
kleinen Friedrich immer so unheimlich erschienen waren. Dem großen
Friedrich schnürte der Anblick das Herz zusammen. Leise öffnete er
die Haus- und Stubentür; da blickte die alte Frau auf. „Mütter-
chen, Mütterchen, vergib mir, daß ich dir so wehe getan habe!" schrie
Friedrich Breitkopf, stürzte zu den Füßen seiner Mutter nieder und
begrub sein tränenübersttömtes Antlitz in ihrem Schoße.
„Mein armes, liebes, gutes Kind!" Das waren die ersten Worte,
die er von den Lippen der alten Frau vernahm; dann fühlte er ihre
Hände auf seinem Scheitel liegen und hörte sie lange und leise ihre
Gebete murmeln.
Wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht von Friedrichs Rück-
kehr im Dorfe verbreitet. Bekannte kamen, ihn zu begrüßen, selbst
die Bauern sprachen einer nach dem andern in dem kleinen Häuschen
vor, und alle zeigten ihm Teilnahme in seinem „Unglück", wie sie es
nannten, und wünschten ihm Glück und Segen für die Zukunft.
Und Glück und Segen blieben dem Friedrich Breitkopf nicht aus.
Es war kaum Abend geworden, da sandte sein alter Meister Wernthal
einen Lehrbuben und ließ ihn zu sich rufen. Der brave Meister war
brustkrank geworden und forderte Friedrich auf, bei ihm wieder ein-
zutreten. O, wie freute sich der junge Mann, daß gerade sein alter
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_Breitkopf Friedrich Biedermann Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich_Breitkopf Friedrich Friedrichs Friedrich_Breitkopf Friedrich Friedrich Friedrich
71
Qus dem Körper wieder heraus sei; dann aber müßte man es so
lange reiben, bis die Wärme wiederkehre, und wenn dadurch das
Leben nicht zurückgerufen würde, sei alle Hilfe vergebens.
Da trat eine junge Dame, welche erst seit wenigen Wochen als
Erzieherin im Hause war, vor und erhob bescheiden, aber mit großer
Bestimmtheit Einspruch gegen die vorgeschlagenen Maßregeln. Sie
habe erst vor kurzem an dem Unterricht in einer Samariterschule
teilgenommen und dort gelernt, wie man sich bei Rettungsversuchen
an scheinbar Ertrunkenen zu verhalten habe. Das, was der Schäfer
vorgeschlagen, sei durchaus nicht zweckmäßig. Wenn man ihr gestatten
wolle, das Erlernte hier anzuwenden, so hoffe sie, daß es noch möglich
sei, den Knaben wieder ins Leben zurückzurufen. Die Ruhe und
Zuversicht, mit welcher das junge Mädchen gesprochen, flößte der ver-
zweifelten Mutter neue Hoffnung ein. Sie bat die Erzieherin, alles
zu tun, was sie für nötig halte. Deren erster Rat war, einen
Eilboten nach der Stadt zu schicken, um den Arzt zu holen, der
zweite der, einige wollene Decken wärmen zu lassen. Dann legte sie
sofort selbst Hand an, wobei sie das verständige Hausmädchen auf-
forderte, ihr Hilfe zu leisten. Mit einigen Scherenschnitten trennte
sie Jacke und Hemd und streifte die Kleider vom Oberkörper völlig
ab; mit einem Taschentuch entfernte sie den Schlamm, der sich im
Munde befand, zog die Zunge hervor und band die Spitze derselben
mit dem Taschentuch auf dem Kinn fest; dann begann sie mit dem
Hausmädchen die künstlichen Atembewegungen auszuführen, wie sie
es in der Samariterschule gelernt hatte. In stets gleichem Tempo
wurde durch Erheben der Arme bis über den Kopf der kleine Brust-
kasten möglichst weit ausgedehnt und dann wieder durch Senken der
Arme und Druck auf die Seitenflächen der Brust zusammengedrückt.
Mit deutlich hörbarem Geräusch drang der Luftstrom ein und aus,
aber das Kind lag blaß und leblos, wenn die beiden Mädchen er-
mattet von der Anstrengung aus Augenblicke ihre Bemühungen aus-
setzten. Eine Viertelstunde nach der andern verging; immer mehr
schwand die Hoffnung der Mutter und der Umstehenden. Endlich,
nachdem mehr als eine Stunde lang die Bewegungen fortgesetzt waren,
schrie plötzlich das junge Mädchen auf: „Jetzt hilft es! Er fängt
an zu atmen!" Und siehe da, als sie mit den Bewegungen einhielten
hob sich die kleine Brust von selbst, und eine leichte Röte färbte die
blassen Wangen. Lauter Jubel der Umstehenden erhob sich; aber
die beiden Helferinnen ließen noch nicht nach und setzten, obwohl
aufs äußerste erschöpft, ihre Bemühungen unablässig fort, bis die
Wangen sich lebhafter röteten und der Kleine plötzlich die Augen
ausschlug. Nun wurden auf Geheiß der jungen Samariterin die ge-
wärmten Decken herbeigebracht, in welche der Kleine nach Beseitigung
der übrigen Kleidungsstücke eingehüllt und mit denen er dann tüchüg
gerieben wurde. Der Kleine sing an zu sprechen und verlangte
etwas zu trinken. Man flößte ihm warmen Thee ein und trug ihn
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201
§ 39. Jeder Kaufmann hat bei dem Beginne feines Handelsgewerbes feine
Grundstücke, feine Forderungen und Schulden, den Betrag feines baren Geldes
und feine sonstigen Vermögensgegenstände genau zu verzeichnen, dabei den Wert
der einzelnen Vermögensgegenstände anzugeben und einen das Verhältnis des Ver-
mögens und der Schulden darstellenden Abschluß zu machen. Er hat demnächst
für den Schluß eines jeden Geschäftsjahres ein solches Inventar und eine solche
Bilanz aufzustellen. Hat der Kaufmann ein Warenlager, bei dem die Aufnahme
des Inventars nicht füglich in jedem Jahre geschehen kann, so genügt es, wenn
sie alle zwei Jahre erfolgt.
§ 40. Bei der Aufstellung des Inventars und der Bilanz sind sämtliche
Bermögensgegenstände und Schulden nach dem Werte anzusetzen, der ihnen in dem
Zeitpunkte beizulegen ist, für welchen die Aufstellung stattsindet. Zweifelhafte
Forderungen sind nach ihrem wahrscheinlichen Werte anzusetzen, uneinbringliche
Forderungen abzuschreiben.
§ 41. Das Inventar und die Bilanz sind von dem Kaufmanne zu unter-
zeichnen.
8 43. Bei der Führung der Handelsbücher und bei den sonst erforderlichen
Auszeichnungen hat sich der Kaufmann einer lebenden Sprache und der Schrift-
zeichen einer solchen zu bedienen.
Die Bücher sollen gebunden und Blatt für Blatt oder Seite für Seite mit
fortlaufenden Zahlen versehen sein.
An Stellen, die der Regel nach zu beschreiben sind, dürfen keine leeren
Zwischenräume gelassen werden. Der ursprüngliche Inhalt einer Eintragung darf
nicht mittelst Durchftreichens oder auf andere Weise unleserlich gemacht, es darf
nichts radiert, auch dürfen solche Veränderungen nicht vorgenommen werden, deren
Beschaffenheit es ungewiß läßt, ob sie bei der ursprünglichen Eintragung oder erst
später gemacht worden sind.
ß 44. Die Kaufleute sind verpflichtet, ihre Handelsbücher bis zum Ablause
von zehn Jahren, von dem Tage der darin vorgenommenen letzten Eintragung an
gerechnet, aufzubewahren.
Dasselbe gilt in Ansehung der empfangenen Handelsbriefe und der Abschriften
der abgesendeten Handelsbrrefe, sowie in Ansehung der Jndentare und Bilanzen.
8 45. Im Laufe eines Rechtsstreites kann das Gericht auf Antrag oder von
Amts wegen die Vorlegung der Handelsbücher einer Partei anordnen.
89. Schaden macht klug.
Eie Landmann hatte durch Fleiß und Sparsamkeit »ich
ein recht artiges Vermögen erworben und gedachte nun, sein«
alten Tage in Kühe zu verleben. Da kam eines Tages ein Be-
kannter zu ihm, mit dem er früher öfters kleine Geschäfte ge-
macht hatte. Dieses Mal aber wollte derselbe nicht kaufen oder
verkaufen, sondern er hatte etwas anderes im Sinne. „Guter
Freund,“ sagte er zu dem Landmanne, „ich bin in großer Ver-
legenheit, und wenn ihr wolltet, könntet ihr mir helfen. Ich
habe eine Summe Geldes zu bezahlen, die mir augenblicklich
fehlt. Das Geld braucht ihr mir nicht zu geben; wolltet ihr
aber diesen Zettel unterschreiben, dann brächtet ihr mich au«
aller Sorge heraus.“ Der Landmann wußte nicht, was der
Zettel bedeutete. Unvorsichtig unterschrieb er ihn und freute
sich, seinem guten Bekannten geholfen zu haben. Er sollte sein«
Unvorsichtigkeit und Unwissenheit schwer büßen. Nicht lange
Zeit nachher wurde er aufgefordert, eine beträchtliche Geldsumm«
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244
ein wenig ausgelassen vor. Seine offenen, angenehmen Gesichtszügr
prägten sich meinem Gedächtnis ein, und gern hätte ich den Grund
seiner Munterkeit gewußt. Am folgenden Tage erfuhr ich ihn durch
einen Zufall.
Jener Soldat hatte während seiner ganzen Dienstzeit, drei
Jahre, keinen Urlaub gehabt, um seine Heimat und seine Familie
wiederzusehen; denn seine geringen Mittel erlaubten ihm die weite
Reise nicht. Die lange Trennungszeit war ihm schwer geworden;
er war immer schweigsam gewesen; denn er dachte viel an seine
Eltern und Freunde und an sein heimatliches Dorf, vor allem aber
an seine Mutter. Die war eine arme Bäuerin, alt und schwach;
aber sie besaß einen fröhlichen 5tnn und ein wahres Engelsgemüt.
Bon allen ihren Rindern liebte sie den fernen Sohn mit der größten
Zärtlichkeit und ganz besonderer Sorge. Seine häufigen Briefe
milderten freilich die Bitterkeit der Trennung; aber Papier bleibt
doch immer nur Papier, und zärtliche Mütter wollen ihre Rinder
sehen und mit fänden fassen. Auch den Rindern genügt es nicht
zu wissen, daß daheim ein teures, graues Haupt ihrer gedenkt; sie
wollen es an ihre Brust drücken. Nun bekam das Regiment eine
neue Garnison, sie war die nächste Stam bei dem Heimatsorte des
blauäugigen Soldaten. Nur wenige Meilen lagen jetzt zwischen ihm
und dem Baterhause, das war der Grund seiner Fröhlichkeit nach
dem anstrengenden Marsche.
Zwei Tage waren nach dem Einmarsch des Regiments ver-
gangen, und unser Soldat war im Begriff, sich einen kurzen Urlaub
zu erbitten, um nach Hause zu eilen. Da wurde ihm ein Brief
übergeben, der kam von seiner Mutter und lautete: „Morgen komme
ich nach der Siam, ich kann's nicht mehr erwarten, ich muß meine
Arme um deinen Hals schlingen!" Es gelang dem guten Sohn,
am andern Tage für einige stunden vom Dienste befreit zu werden«
In der Nacht konnte er nicht schlafen. Mft setzte er sich aufrecht
und blickte nach dem gestirnten Himmel. So verstrichen lange
Stunden, bis endlich die Ermattung siegte; aber er träumte von
seiner Mutter. Sie stand lächelnd an seinem Lager und strich mit
der Hand über seine Stirn. Langsam schlichen am andern Morgen
die Stunden hin. Die Gedanken des Sohnes eilten in die Heimat.
Er sah seine Mutter ein Bündel für ihn zurechtbinden und sich auf
den ll)eg machen. Im Geiste folgte er der guten, alten Frau, wie
sie auf der langen, staubigen Landstraße hinschritt. „Ach, könnte
ich ihr doch das Bündel tragen!" sagte der Sohn leise vor sich hin.
Dann eilte er ans Fenster, setzte sich wieder auf den Schemel und
verfiel in tiefes Sinnen.
Jetzt hörte er auf der Treppe eilige Schritte. — „Draußen steht
eine alte Frau, die nach dir fragt", teilte ihm ein Ramerad mit. —
„Meine Mutter!" ruft der Soldat aus, stürmt die Treppe hinunter,
stürzt über den Hof, erblickt eine Frauengestalt und fliegt auf sie zu«
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248
„Ich bitt' dich gar schön, Anna, reiß mir die Kinder nicht so henrm,"
verwies der Kranke mtt schwächerer Stimme, „und die kleine Martha laß
schlafen, die versteht noch nichts."
Ich blieb abseits am Tische sitzen, und mir war heiß in der Brnst.
Die Angehörigen versammelten sich um den Kranken und schluchzten.
„Seid ihr nur ruhig," sagte der Sepp zu seinen Kindern, „die Mutter
wird euch schon morgen länger schlafen lasten. Josepha, tu' dir das
Hemd über die Brust zusammen, sonst wird dir kalt. Und jetzt — seid
allweg schön brav und folgt der Mutter, und wenn ihr groß seid, so
steht ihr bei und verlaßt sie nicht. — Ich hab' gearbeitet meiner Tag
mit Fleiß und Müh', gleichwohl kann ich euch weiter nichts hinterlasten
als dieses Haus und den kleinen Garten und den Rainacker und den
Schachen dazu. Wollt' euch's teilen, so tut es brüderlich, aber besser
ist's, ihr haltet die Wirtschaft zusammen und tut hausen und bauen.
Weiters mach' ich kein Testament, ich hab' euch alle gleich lieb. Tut
nicht ganz vergessen auf mich, und schickt mir dann und wann ein Vater»
unser nach.
„Und euch, die zwei Buben, bitt' ich von Herzen: Hebt mir mit
dem Wildern nicht an; das nimmt kein gutes End'. Gebt mir die Hand
darauf! So! — So, und jetzt geht wieder schlafen, Kinder, daß euch
doch nicht kalt wird, und gebt allzett rechtschaffen Obacht auf eure Ge--
sundheit. Gesundhett ist das Beste. Geht nur schlafen, Kinder!"
Der Kranke schwieg und zerrte an der Decke.
„Zu viel reden tut er mtt", flüsterte das Weib gegen mich ge-
wendet. Eine bei Schwerkranken plötzlich ausbrechende Redseligkeit ist eben
auch kein gutes Zeichen.
Nun lag er, wie zusammengebrochen, auf dem Bette. Das Weib
zündete die Sterbekerze an.
„Das nicht, Anna, das nicht," murmelte er, „ein wenig später. Aber
einen Schluck Wasser gibst mtt, gelt?"
Nach dem Trinken sagte er: „So, das frisch' Master ist halt doch
wohl gut. Gebt mir recht auf den Brunnen Obacht. Ja, und daß ich
nicht vergest', die schwarzen Hosen und das blau' Jüppel weißt, und
draußen hinter der Tür, wo die Sägen hängen, lehnt das Hobelbrett,
das leg' über den Schleifstock und die Bank; für drei Tag' wttd's
wohl halten. Morgen früh, wenn der Holzjosel kommt, der hilft mich
schon hinauslegen. Was unten bei der Pfarrkirche mit mir geschehen soll,
das weißt schon selber. Meinen braunen Lodenrock und den breiten Hut
schenk' den Armen. Dem Peter magst du was geben, daß er heraufgegangen
ist. Vielleicht ist er so gut und liest morgen beim Leichwachen was vor.
Es wird ein schöner Tag sein morgen, aber geh' nicht zu wett fort von
heim, es möcht' ein Unglück geschehen, wenn draußen in der Lauben das
Licht brennt. — Nachher, Anna, such' da im Bettstroh nach; wirst einen
alten Strumpf finden, sind etlich' Zwanziger drin."
„Seppel, streng' dich nicht so an im Reden", schluchzte das Weib.
„Wohl, wohl, Anna — aber aussagen muß ich's doch. Jetzt
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Extrahierte Personennamen: Anna Martha Josepha Anna Anna Anna_—
284
arbeitete er seit seinem zwölften Jahre in Vorrat und mußte nach des
Vaters Willen bereits im Sommer damit anfangen. „Selbst Zeichen-
unterricht gab ich einst an vier Knaben und Mädchen", berichtet er selbst
aus seiner Jugend. „Die Stunde kostete a Person einen Groschen. Die
Vorlageblätter hatte ich selbst gezeichnet. Bisweilen wurde ich wohl vom
Spielplatz zur Ausübung meiner Pflicht und Würde geholt; ich präsen-
tierte mich dann in einem Kostüm, welches der Achtung der Schüler keinen
Eintrag tat — nämlich in einer grüngewürfelten Jacke und einer Leder-
hose; Mütze und Stiefeln waren im Sommer nicht nötig, ich ging barfuß.
Stiefel wurden nur Sonntags angezogen." Ein neues Kleid erhielt der
Knabe bis zu seiner Konfirmation nie, es wurde ihm entweder aus ab-
gelegten Sachen etwas zurechtgemacht, oder der Vater kaufte auf dem
Trödelmarkte ein notwendiges Kleidungsstück für ihn.
Weit entfernt, mit den ihn umgebenden ärmlichen Verhältnissen
unzuftieden zu sein, fühlte sich der Knabe durchaus glücklich und widmete
sich mit Eifer der Ausübung seiner Kunstfertigkeit. Die Erträgnisse der-
selben steigerten sich in den letzten Jahren vor seiner Konfirmation auf
10 bis 12 Taler jährlich. Diese lieferten einen willkommenen Beitrag zu
dem kärglichen Haushalt der Eltern. Welche Genugtuung war es für
ihn, mit seinem Fleiße den guten Eltern die Sorge erleichtern zu helfen!
Während andere Kinder sich am Spiel ergötzten, saß er in der einfachen
Wohnstube, über seine Arbeit gebückt, jede der schnell dahineilenden Minuten
benutzend. So lernte der junge Rietschel schon in der Kindheit den Wert
und die Bedeutung der kostbaren Zeit kennen und schätzen. Ihm bot
dabei das ftohe Gefühl, das treiben zu dürfen, wozu er vor allem Lust
hatte, tiefe Befriedigung.
So verging Rietschels Kindheit. Die Konfirmation kam heran und
mit ihr die Notwendigkeit, sich für einen Beruf zu entscheiden. Der Ge-
danke an die Kunst, der den Knaben am meisten beschäftigte, konnte wegen
der fehlenden Mittel nicht in Betracht kommen. Rietschel fand bei einem
Krämer seiner Vaterstadt als Lehrling Aufnahme. Das harte und strenge
Wesen dieses Mannes ertötete jedoch in kurzem die ohnedies geringe Lust
zum Kaufmannsstande in dem Jünglinge. Von schwerer Krankheit befallen,
mußte er nach wenigen Monaten ins Elternhaus zurückkehren. Unaufhalt-
sam brach nach seiner Genesung der langgehegte, immer wieder zurück-
gedrängte Wunsch hervor, sich auf der Dresdner Akademie zum Maler
auszubilden. Der Vater gab den heißen Bitten des Sohnes nach und
bemühte sich um Aufnahme für ihn an der genannten Anstalt. Rietschel
erhielt die Aufforderung, sich dem Akademiedirektor Seiffert vorzustellen.
Da die bei dieser Gelegenheit vorgelegten Zeichnungen dessen Beifall fanden,
wurde die Aufnahme des Jünglings in die Akademie zu Michaelis 1820
bewilligt.
Sein sehnsüchtiger Wunsch verwirklichte sich. Wohl wußte er, daß
der Zuschuß der Seinen ttotz aller Aufopferung nur sehr gering sein
konnte. Aber was galten ihm die seiner wartenden Mühsale und Ent-
behrungen, da er nun seinem Ziele zustteben durste! Mit wenig Geld in
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127. Aus der Elbe nach den Steinbrüchen der
Sächsischen Schwei;.
1. Unverhofftes Wiedersehen.
Vier Jahre war ich nicht daheim gewesen, vier Jahre fort von Vater,
Mutter, Schwester und Jugendfreunden! Jetzt kam ich als Matrose wieder
von langer, weiter Fahrt. Ich hatte die Länder und die wilden Menschen
gesehen, von denen ich als Knabe so gern gelesen hatte. Und doch sehnte
ich mich auch im fernsten, schönsten Lande immer nach der kleinen Heimat,
nach dem lieben Dörfchen am Ufer des Elbsttoms in der Sächsischen
Schweiz. Jetzt ging ich auf Urlaub. Wenn ich mich nach meiner An-
kunft in Dresden in den großen Schaufenstern sah, freute ich mich selbst
über meine dunkelblaue Uniform, den zurückgeschlagenen hellblauen Kragen,
die Mütze mit den langen Bändern und der Goldschrift: Kaiserliche Manne.
Braun gebrannt war das Gesicht und die offene Brust in der frischen
Seeluft. Ob sie mich wohl gleich wieder erkennen daheim?
Mir pochte das Herz vor Erwartung. Als ich die alte Elbbrücke,
welche die Altstadt und Neustadt verbindet, betrat, konnte ich mich kaum
fasten. Ich hätte weinen und jauchzen können vor Freude. Alles, was
ich hier sah, war mir bekannt: der Sttom, die Dampfschiffe, die Zillen
oder Elbkähne, die Brücken bis auf eine! Wie oft war ich doch mit dem
Vater unter diesen Brücken hindurch gefahren!
Die Sandsteine zu denselben, zur schönen katholischen Kirche mit den
Menschenstguren obendrauf, zur Frauenkirche mit ihrem dickbäuchigen
Turme, sie stammten aus meiner Heimat. Ich stieg die 41 Stufen zur
Brühlschen Terrasse hinauf: die vier vergoldeten Steinbilder waren auch
aus dem Sandsteine der Sächsischen Schweiz gefertigt, ebenso die Ufer-
mauern am Elbstrome. Mein Vater hatte mir oft genug erzählt, daß
jede dieser Figuren aus einem Steinblock gehauen war, der im Stein-
bruche 500 Zentner wog. Er hatte diese Riesenblöcke fortschaffen helfen;
sie stammten aus meinem Dörfchen, aus Postelwitz bei Schandau. Und
wieviel Sandstein war gebraucht worden zu den Prachtgebäudcn auf der
Terrasse, die erst neuerdings gebaut waren!
Ich trat an das Eisengeländer und schaute hinab auf den Strom.
Gerade unter mir hielt ein Dampfschiff am Ufer, „König Johann" ist sein
Name. Es fährt stromauf nach Schandau; eben läutet die Glocke zum
erstenmal. Ein Stück weiter hin liegt am Ufer Zille an Zille; die eine
bringt böhmische Kohlen, die andere Stroh, die meisten Sandsteine. Da
pustet auch ein großes, plumpes Dampfschiff heran, das an einer Kette
hinläuft; mächtige Rauchwolken dringen aus den Essen von Eisenblech.
Es ist ein Schleppdampfer; denn hinten sind an ihn ein, zwei, drei, ja
wohl zehn Kähne angehängt, die sich stromauf schleppen lassen. Da muß
ich hinunter ans Ufer. Da drüben mitten im Strome zieht der Schlepper
vorüber; die erste Zille folgt; es ist die „Marie"; vorn am Kiel steht's
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Extrahierte Ortsnamen: Sächsischen
Schweiz Dresden Sächsischen_Schweiz Elbstrome Schandau Johann" Kiel
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reifen kann, jetzt, da alle Sterne meines Glücks in schöner Milde auf mich
nicderleuchten, jetzt ist es bei Gott ein würdiges Gefühl, das mich treibt,
jetzt ist es die mächtige Überzeugung, daß kein Opfer zu groß sei für das
höchste menschliche Gut, für seines Volkes Freiheit. Vielleicht sagt Dein
bestochenes väterliches Herz: „Theodor ist zu größeren Zwecken da; er
hätte auf einem anderen Felde Wichtigeres und Bedeutenderes leisten können;
er ist der Menschheit noch ein großes Pfund zu berechnen schuldig." Aber,
Vater, meine Meinung ist die: zum Opsertode für die Freiheit und für
die Ehre seiner Nation ist keiner zu gut, aber wohl sind viele zu schlecht dazu!
Eine große Zeit will große Herzen, und ich fühl' die Kraft in mir, eine
Klippe sein zu können in dieser Völkerbrandung, ich muß hinaus und dem
Wogensturme die mutige Brust entgegendrücken. Soll ich in feiger Be-
geisterung meinen siegenden Brüdern meinen Jubel nachleiern? Ich weiß,
Du wirst manchmal Unruhe erleiden müssen; die Mutter wird weinen,
Gott tröste sie! Ich kann's Euch nicht ersparen. Des Glückes Schoßkind
rühmt' ich mich bis jetzt, es wird mich nicht verlassen. Daß ich mein
Leben wage, das gilt nicht viel; daß aber dies Leben mit allen Blüten-
kränzen der Liebe, der Freundschaft, der Freude geschmückt ist, und daß
ich es doch wage, daß ich die süße Empfindung hinwerfe, die mir in der
Überzeugung lebte, Euch keine Unruhe, keine Angst zu bereiten, das
ist ein Opfer, dem nur ein solcher Preis entgegengestellt werden darf.
Sonnabends oder Montags reise ich von hier ab, wahrscheinlich in
freundlicher Gesellschaft; vielleicht schickt mich auch Humboldt*) als
Kurier. In Breslau, als dem Sammelplätze, treffe ich zu den freien
Söhnen Preußens, die in schöner Begeisterung sich zu den Fahnen des
Königs gesammelt haben. Ob zu Fuß oder zu Pferd, darüber bin ich
noch nicht entschieden, und es kommt einzig auf die Summe Geldes an,
die ich zusammenbringe . . .
Toni**) hat mir auch bei dieser Gelegenheit ihre edle, große Seele
bewiesen. Sie weint wohl, aber der geendigte Feldzug wird ihre Tränen
schon trocknen. Die Mutter soll mir ihren Schmerz vergeben; wer mich
liebt, soll mich nicht verkennen, und Du wirst mich Deiner würdig finden.
Dein Theodor.
2. An Ararr von Aereira in Wien.
Jauer, den 30. März 1813.
Eben erhalten wir die Nachricht, daß wir binnen acht Tagen vor
dem Feinde stehen. Die Franzosen haben Dresden stark besetzt, machen
Miene, es zu halten, und sollen ihre Vorposten bis Bautzen vorgerückt
haben. Wir werden mit aller Eile vorgeworfen, und ich halte es für
keine kleine Gunst des Schicksals, daß ich entweder die heilige Erde meiner
*) Wilhelm v. Humboldt, ein hervorragender Gelehrter, der Freund von
Schiller und von Körners Vater; er war damals preußischer Minister und hatte
an Preußens Wiedergeburt einen wesentlichen Anteil.
**) Antonie Adamberger, Körners Braut.
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Extrahierte Personennamen: Theodor Aereira Jauer Wilhelm Schiller Körners Antonie_Adamberger
Extrahierte Ortsnamen: Breslau Wien Dresden Bautzen